Über rohe Eier, Rohtexte und Feedback

„Rohtexte sind wie rohe Eier.“ Die Leiterin des Schreibworkshops reichte uns behutsam jeweils ein rohes Ei. Wir sollten es in der Hand halten und dabei zu diesem Satz als Schreibimpuls frei drauflos schreiben.

Mein spontaner Gedanke war: Ein Ei ist doch das Gegenteil von einem Rohtext. Es ist perfekt geformt, glatt und abgerundet. Rohtexte ähneln dagegen ungehobelten Klötzen, aus denen man etwas herausarbeitet. Oder den Specksteinen, die wir als Kinder im Werkunterricht bearbeitet haben.

Andererseits … ein Huhn muss das frisch gelegte Ei im Hühnerstall auch erst ausbrüten, damit ein lebendiges Wesen schlüpft. So, wie wir über unserem Rohtext brüten, bis er sich nach und nach zu einer lebendigen Geschichte mausert.

Mit einem rohen Ei kann man zunächst jedenfalls nichts anfangen. Man kann es (noch) nicht essen, sondern muss es kochen, braten oder in einen Teig schlagen. Im rohen Zustand ist es nicht genießbar, man muss es verarbeiten. Das Potenzial für Essgenuss steckt schon in ihm. So ist es auch mit einem Rohtext. Auch er ist (meistens) noch nicht „genießbar“, man muss ihn erst überarbeiten. Das Potenzial für Lesegenuss steckt schon in ihm.

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Feedback: Wertschätzend statt schonungslos

Wenn wir an unseren Texten arbeiten, hilft uns das Feedback anderer. Und damit passt der Gedanke an rohe Eier auch auf uns als Schreibende. Hobbyautor:innen bitten gern um „schonungslose Kritik“, in dem Irrglauben, (nur) so könnten sie sich entwickeln. Doch tatsächlich sind wir alle zerbrechlich. Wir fürchten insgeheim, dass andere unsere Texte – und damit uns – in der Luft zerreißen. Diese Furcht hemmt unser Schreiben und unsere Kreativität.

Studien belegen: Wenn wir Angst haben, können wir unser künstlerisches Potenzial nicht voll entfalten. Das liegt daran, wie unser Gehirn funktioniert. Bei den leisesten Anzeichen von Stress schaltet es in den „Kampf-oder-Flucht Modus“. Unserer Biologie entkommen wir nicht – auch wenn wir noch so sehr auf dem vermeintlichen Nutzen von so genannter „konstruktiver Kritik“ beharren. Wer darum bittet, hat vielleicht noch nicht erlebt, wie sich stärkendes Feedback (moderiert von ausgebildeten Schreibtrainer:innen) anfühlt …

Im geschützten Raum funktionieren Schreiben und Textarbeit so viel besser. Es gibt unterschiedliche Techniken für wertschätzendes Feedback: Man kann einander gelungene Passagen spiegeln oder den Charakter des Textes mit drei positiven Adjektiven einfangen.

Es gibt klare Spielregeln in der Gruppe, damit alle wissen, wie eine Feedbacksession abläuft, die Schreibende motiviert. Und damit sind wir wieder bei den rohen Eiern: So, wie wir ein Ei zerbrechen können, können wir die Schreiblust anderer beschädigen, wenn wir unachtsam sind.

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