Im Dezember 2022 gab es bei mir zum ersten Mal den „Schreibfreuden-Adventskalender“: 24 Tage lang habe ich an alle, die sich angemeldet hatten, jeden Tag einen Bildimpuls verschickt. Faszinierend, was entstehen kann, wenn man sich von einem Bild inspirieren lässt und frei drauflos schreibt. Miniaturprosa, Erinnerungen, Gedichte … Texte, so vielfältig und individuell wie die Schreibenden. Sie bringen uns zum Schmunzeln oder stimmen uns nachdenklich. Aber lies doch einfach selbst!
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Geschwister
Von Moranaga
„Das darfst du nicht.“ Lena legte den Arm um Jon und führte ihn weg. Ihre Schritte knirschten auf dem Kiesweg.
„Es macht solchen Spaß!“, klagte Jon.
„Ich weiß“, antwortete Lena. „Aber sie beobachten uns.“
Er rief: „Ich will laufen!“
„Sie würden dich jagen“, sagte Lena.
„Ja“, gab er zu.
„Versprich, dass du es nicht wieder tust“, sagte Lena. „Komm zu mir, wenn dich danach verlangt.“
„Und dann?“, fragte Jon.
„Dann überlegen wir, was zu tun ist“, antwortete Lena. „Es ist zu gefährlich.“
Ihr Bruder sah sie an. Für die Dauer eines Wimpernschlags fiel sein Blick aus smaragdgrünen, senkrecht geschlitzten Pupillen.
Der Kaffeewärmer
Von rmherrling
Lass mich, Mama, ich hab keine kalten Ohren, sagt sie, aber die Mutter drückt mit einem bösen kleinen Lächeln die riesige Mütze auf ihren Kopf.
Natürlich wirst du kalte Ohren haben, wirst Ohrenweh kriegen und wer muss sich das Gejammer anhören, wer muss mitten in der Nacht aufstehen?…
Schon gut, Mama, sagt sie, ist schon gut.
Die Mutter lächelt wieder wie immer, wenn sie sich durchgesetzt hat.
Draußen wartet schon die Freundin, schiebt sie auf den Weg. Schnell, flüstert sie, gleich sind wir außer Sicht, dann schmeißen wir den Kaffeewärmer ins Gebüsch und laufen um die Wette davon.
Krieg in den Straßen
Von Schreibmenschine
Abgerissen und zerfetzt liegt er da, ich bücke mich, hebe ihn auf, drehe seinen Kopf in meiner Hand in meine Richtung, schaue in das ausdruckslose Gesicht.
„Das wird schon wieder, Buddy“, sage ich, werde zum Kriegsfilmklischee, in dem ein Soldat auf dem Schlachtfeld über seinen Kameraden gebeugt im Schlamm sitzt und auf dessen herausquellende Gedärme blickt und genau weiß, dass es nicht wieder wird. Es ist nur eine Notlüge, in dem Moment ist sie egal und deshalb gerechtfertigt, trotzdem fühle ich mich schuldig. Dabei ist das völlig bescheuert, ich rede hier schließlich nur mit einem auf der Straße verlorengegangenen Teddybären.
Corona auf dem Kopf
Von Beatricia Micheli
Gerne flüsterte Genoveva ihren Kunden zu: „Sie haben den Kopf, wir den Hut“. Über Kundschaft konnte sie nicht klagen.
Ungern dachte sie an ihren Start zurück. Zwei Koffer stellte ihr der Maestro des berühmten Mailänder Hutsalons nach ihrer Lehrzeit vor die Tür. Darin befanden sich ihre Geselleninnenstücke. Sie stand auf der Straße und blickte von ihren Hüten hoch. Da sah sie einen Blondschopf ohne Kopfbedeckung vor sich stehen. „Signore, una corona?“ – eine Krone für Sie? Schnell setzte sie sie ihm auf. Überrascht zögerte der frisch Gekrönte. Dann stammelte er: „Sola, … mia regina.“ Nur, wenn Du meine Königin wirst.“
Weihnachten unter Wasser
Von J.P.
Ich stehe an einem See. Der Mond spiegelt sich darin. Ich blicke hinauf. Da ist kein Mond. Stattdessen schwimmt ein Fisch vorbei. Ich spüre das Wasser um mich und der Duft von Bratäpfeln strömt in meine Nase. Diesem folgend schwimme ich zu einem Kamin. Darauf steht ein Nussknacker, dessen Mund durch die Strömung auf und zu geht. Der Fisch schwimmt durch seinen Mund und plötzlich klappt er zu. Ich erstarre. Der Mund klappt wieder auf und der Fisch schwimmt weiter. Über dem Kamin hängen gefüllte Strümpfe. Eine Nuss wird herausgespült und schwimmt auf den Nussknacker zu. KRATSCH.
Eine Bank in der Landschaft
Von Miritanz
Bunt ist die Bank!
Türkis, pink und blaue Töne.
Ich liebe sie alle.
Pinkfarbene Wolken, türkisfarbener Hut und blaue Socken. Eine frische Farbzusammenstellung! Etwas kühl, das kecke Pink peppt es wieder auf.
Ja, und dann steht da ein grauer Rucksack ganz links auf der Bank. Was ist wohl drin? Ein Notizbuch voller Geschichten und Poesie. Und Bleistifte!
Gerne sitze ich auf der Bank und lasse meinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf.
Innehalten und sich umschauen!
Spaziert da ein Käfer vorbei? Ein Elefant mit blauen Socken, eine Giraffe mit türkisfarbenem Hut? Ist es ein Nilpferd mit pinkem Petticoat?
Alles ist möglich!
Mann
Von Inna
Der Mann schaut verzweifelt aus. Ein Bild liegt neben ihm. Ist er allein mit seiner Trauer? Der Tod. Immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Nur wenige Menschen können Trauernde wirklich begleiten. Es braucht Zeit. Das geht nicht von heute auf Morgen. Von der Gesellschaft wird dies nicht anerkannt. Funktionieren sollst Du. Die fürchterlichsten Sprüche sind: „erlöst von Krankheit“, „gesegnetes Alter“, „was für eine Tragödie – sei offen für Neues“.
Lasst uns trauern. Ehrlich, Mitfühlend, Liebend. Gebt den Gefühlen den Raum dazu. Seid für die Trauernden da / präsent. Zeigt ihnen, dass das Leben noch lebenswert ist.
Lebenslektion
Von Margarete
Neben mir in der ersten Reihe saß Yvonne. Yvonne war ‚irgendwie anders‘. Sie redete nicht. Und manchmal, für mich aus heiterem Himmel, sprang sie auf, rannte zur Tafel und schrie, dass das Glas in den alten Fenstern klirrte.
Unsere Lehrerin hatte viel Verständnis für Yvonne. Viel mehr als für mich, die ich gesund war und nicht schrie und immer alles richtig machen wollte.
Niemand, das weiß ich heute, macht immer alles richtig.
Einmal musste ich in der Ecke stehen, lange, weil mein Pausenbrot nach Leberwurst roch. Es klingelte, ich stand immer noch dort. Meine Lehrerin hatte mich einfach vergessen.
Von Malvania
Bernd öffnet die Augen. Sein Bett ist schweißdurchnäßt. Er zittert am gesamten Körper. Sein Schrei hallt in seinen Ohren nach. Seine Finger sind im Plümo vergraben. Wieder dieser schreckliche Traum. Alles war bedrohlich. Keiner stand ihm zur Seite. Er war ganz allein. Jetzt ist es vorbei. Er befindet sich in seiner Wohnung und ein ganz normaler Tag beginnt. Alles ist in bester Ordnung.
Doch nun nimmt er ihn wahr, den schrillen durchdringenden Klingelton, den er seit seiner Kindheit nicht mehr vernommen hat.
Mit schreckensweiteten Augen schaut er auf das orangene Telefon, welches auf der Konsole gegenüber seines Bettes steht.
Teddyschicksal
Von Gaby Matthes
Liegst grau und ganz traurig,
wie mit zerbroch‘nen Glieder, schaurig,
Ohne Fleisch und ohne Leben
Und doch gab’s das noch eben.
Wie verloren, da auf dem hartem Asphalt.
Lebendigkeit und Liebe, ganz zart.
Das Leben dagegen bleibt hart.
Trennt unerbittlich und streng
Eure Lebenswege vor der Zeit: Peng!
Ein Riss, ein Schlag, vorbei dein Halt
und schon liegst du da auf dem Asphalt.
Ein Teddyschicksal, verloren, grau und traurig,
und, oh ja, ganz beklagenswert schaurig.
Von Monika Dietrich
im fassadennebel
sitzt der esel
kleinkariertes maskenspiel
erfahrungen des dahinterkommens
gerüste und fallhöhen
für desperate blicke
scheinleben huckepack
truglieben deren
gummibänder hinter den
ohren ziehen
tristesse farblos
haltung gelöst
dilemma hinter glas
kein spaß sagt
der has
und bleibt bei seinen fragen
hinter verschwommenen aussichten
betonkummer grobkörnig
der in alten hörern verstummt
trübsalschwere blicke
lichter deiner baustelle
des immerwährenden schweigens
erlösungsregen fällt nicht
von himmeln
und versteckt sich nicht unter
geparden aus stoff
plüschengel of the universe
unite
Revolverheldin
Von Zara Schwytz
„Leg die Kohle auf den Tisch! Oder ich knall dich ab.“ „Cool Baby. Verlier jetzt nicht den Verstand.“ „Halt dein Maul!“ Seine Knarre liegt in der Karre am Parkplatz. Er greift in seine Brusttasche, wirft die Dollarscheine auf den Tisch. „Mach jetzt keine falsche Bewegung, es könnte deine letzte sein,“ sagt sie mit dem Finger im Seidenhandschuh auf der Glock. „Dreh dich um. Etwas schneller, wenn’s geht.“ Die Pistole auf ihn gerichtet, drängt sie ihn aus der Tür. „Verschwinde auf nie mehr Wiedersehen!“ Sie atmet tief durch, nimmt einen großen Schluck Whisky und steckt den Revolver weg.
Karussell
Von Barbara Klaus
Die Gedanken sind frei
Und doch so eng
Die Gefühle sind weit
Und doch so streng
Die Stimme schreit
Und bleibt doch stumm
Der Körper will
Und schmerzt doch nur
Mich dreht‘s
ins STOP
Ich bleibe stehen
und juble
Sein gelassen
es endgültig sein lassen.
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