Schreibfreuden-Adventskalender ’23: Textsammlung

Im Dezember 2023 gab es bei mir zum zweiten Mal den „Schreibfreuden-Adventskalender“: 24 Tage lang habe ich an alle, die sich angemeldet hatten, jeden Tag einen Bildimpuls verschickt. Faszinierend, was entstehen kann, wenn man sich von einem Bild inspirieren lässt und frei drauflos schreibt. Miniaturprosa, Erinnerungen, Gedichte … Texte, so vielfältig und individuell wie die Schreibenden. Sie bringen uns zum Schmunzeln oder stimmen uns nachdenklich. Aber lies doch einfach selbst!

Gefunden

Von Matilda

Eine kleine Schachtel
ein blaues Band darum geschlungen.

Alte Briefe, wer mag sie geschrieben haben?
Namen, nie erwähnt im Familiengefüge,
eine Liebe unserer Mutter?

Erzählt hat sie uns nicht davon,
lange liegt es zurück,
dachte sie in schweren Momenten
an diese große Liebe?

Ein Bild rutscht aus einem Umschlag,
jung sind beide, man spürt ihre Nähe zueinander.

Was wäre geworden,
hätten beide sich getraut,
hätte Mutter nicht gezögert?

Die Briefe bewahren eine Liebe,
sie ruht in der kleinen Schachtel,
Briefe von dir zu mir, Briefe von mir zu dir.

Das blaue Band hält diese Liebe zusammen,
noch heute.

***

Gezeiten

Von Mona Peirhofer

Heimkommen
ins Meer
eins mit dem Element
Energie spüren
mich den Gezeiten überlassen
getragen sein
und frei
zurück
im Element des Anfangs
losgelöst
von Fragen
von Verpflichtung
von Alltag
im Ursprung des Lebens
Kraft finden
Frieden finden
mein Selbst

***

Die Lösung

Von Ulrike Walter

Ich werde den Nachbarshund töten. Ich möchte den Sabber aus seinem Maul rinnen sehen, wenn er verendet. Ich höre das Geschrei der Nachbarin. „Fiete, Fiete!“. Aber Fiete knurrt nicht mehr, wenn ich in meinen Garten trete, mein Vogelhäuschen befülle, beobachtet von der dicken Amsel, die gelernt hat, hineinzufliegen in die futterspendende Überdachung. Fietes letztes Leckerli stelle ich aus den Pilzen her, die ich heute im Wald gefunden habe. Wunderschöne Exemplare mit roten Hütchen, darauf Tupfen aus weißer Schokolade, die sanft das Rot beschneien. Sie werden kaum zu riechen sein in ihrem Bett aus Kalbsleberwurst. Das war’s dann, blödes Vieh Fiete.

***

Ein Männlein steht im Walde

Von Petra Dettki

Früher dachte ich immer, es wäre der Fliegenpilz. Schön anzusehen, aber giftig. Das Männlein im Walde machte mir Angst. Ich kann mich gar nicht erinnern, ob ich jemals angstfrei im Wald spazieren gegangen bin. Wegen des Männleins, das für mich ein erschreckend brutaler Mann war, der hinter jedem Busch lauerte. Nie ist ein solcher Mann in meinem Leben hinter einem Busch herausgesprungen, aber immer war die Angst in meinem Kopf.
Noch heute schließe ich schnell alle Türen, wenn ich in mein Auto im Parkhaus steige. Ein Leben lang Vorsicht – vor dem Männlein im Walde.

***

Matschepampe

Von Sophila Sansia

„Warum machen wir das?“
Ich rutsche auf meinem Stuhl unruhig hin und her.
„Um Freude zu schenken“
„Aber wen erfreut denn eine Matschepampe?“
„Wasch Dir die Hände, hilf mir und Du wirst es verstehen!“
Meine Augen werden groß – ich darf helfen!
Ich lasse meine Hände in die Matschepampe gleiten. 
Iiihh, fühlt sich das glibberig an.
Ich verziehe das Gesicht. Meine Oma lacht auf und sagt sanft: „Schau her, was ich mache, siehst Du das? Das nennen wir kneten, so wird aus der Matschepampe ein fester Teig.“
„Wir machen Plätzchen!“, strahle ich.
„Und schenken damit Freude“, lächelt sie gütig.

***

Branwen und das Relikt

Von redux2

Nebel zog zum Strand. Die Dämmerung verschluckte langsam das Licht des Tages. Und die Wellen sangen leise ihre uralte Melodie.
Branwen erblickte sein grünes Gewand. Goldene Spiralen und Kreuze, aus Metallfäden gestickt zierten das grobe Leinen. Das Schwert lag vor den Füßen des alten Kriegers. Er stand vor ihr. Endlich.
Adean öffnete seine Hand. Ein roter Stein funkelte im Schein des Mondes.
„Branwen“, sprach er mit sanfter Stimme, „Dies ist das Relikt unserer Ahnen. Es birgt die Weisheit unsere Vorfahren, den Mut unserer Krieger in sich. Nimm diesen Schatz und bring ihn über das Meer nach Loga in Germanien!”

***

Selbstauslöser

Von Birgit M.

Selbstauslöser, Weihnachten 1962. Debbie hat mir die Kamera geschenkt. Von welchem Geld? Sie kommt mit meinem Lohn nicht aus. Murre ich, weil sie wieder im Beauty-Salon war oder Neues angeschafft hat, lacht sie: „Relax, Honey. Freu dich lieber.“
Drei Mal nur war ich mit ihr aus und es war klar, sie ist nicht die Richtige für mich. Hübsch ja, sehr sogar aber oberflächlich, leider auch sehr.
Als ich es beenden wollte, war sie schwanger. Nur zum Standesamt zu gehen war ihr nicht genug. Ihr Daddy hat die prächtige Hochzeit bezahlt; unser Appartement und die Familienkutsche. Ich werde als Marionette sterben.

***

Begegnung im Waschsalon (Ein Fragment)

Von Beate H. Humburger

Es war kalt. Viel zu kalt. Ich betrat den grell erleuchteten, schlauchförmigen Raum. Fürs erste war ich vor Dunkelheit und Kälte geborgen. Ich zog mich in den hinteren Bereich zurück, möglichst weit entfernt von den fleckigen Glastüren. Auf dem erstbesten Stuhl sackte ich zusammen. Meinen Seesack ließ ich neben mir zu Boden gleiten und schlug die Hände vor die Augen. Zum Heulen war mir zumute! So saß ich eine ganze Weile und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Panik würde mich keinen Schritt weiterbringen!
„Ist alles in Ordnung?“ fragte eine angenehm rauchig klingende, weibliche Stimme. Ich war nicht allein!

***

Der gebrochene Leuchtturm

Von Claudia Giernoth

Leuchten, das war seine einzige Aufgabe. 
Er und seine Wärterin gaben den Schiffen Licht und Halt in der Nacht, wenn sie auf dem Weg vom Land des Unbekannten hin zum Land der absoluten Freude aufbrachen. Nur nachts konnte man diese Land der Freude finden und das Licht gab die Richtung vor. Ungeduld, Hektik, Neid und Streit führten regelmäßig dazu, dass die Schiffe ihre Orientierung verloren.

So versanken in heftigen Sturmnächten Schiffe im Meer, und eines Tages versank das Leuchtfeuer des Turms ebenso.
Als Mahnmal ließ man ihn neben dem neuen schönen Leuchtturm einfach stehen.

***

Gedankenschweif „Meer ist mehr“

Von anfeia

Mein Blick, gerichtet auf ein Foto mit einem Leuchtturm und dem Meer. Sofort denke ich an einen Ort an der Ostsee. Das Jahr zählt nur noch wenige Tage und ich möchte ans Meer. Die Ruhe, das Wellenrauschen – unbeschwert, ohne zu gefallen. Nur ich und das Meer. Was braucht es mehr. Auftanken, zu jeder Jahreszeit! Ostsee, meine „Seelentankstelle“ – schön dass es Dich gibt

***

Schleudergang

Von Carmen Jankowski

Das Jahr 2023 einmal mit Vorwäsche und auf 90° C waschen. Damit der Schmutz auch raus geht. Wenn es sein muss, den Schleudergang wiederholen.
Krisen müssen durchgeschüttelt werden, sonst kann der Stoff aus dem die Träume gemacht werden, nicht atmen.
Ich persönlich benutze schon seit Jahren keinen Weichspüler mehr. Wozu? Die Qualität der Stoffe lässt doch zu wünschen übrig, dabei wird der Rohstoff knapp. Aber wer weiß, vielleicht sind diejenigen, die sich seit Jahren tätowieren lassen, wissender und wir Menschen laufen in Zukunft nackt herum, dafür unverwechselbar bedruckt. Und statt Kleidung lassen sich Gehirne im Kurzprogramm problemlos sauber waschen.

***

Schatten auf Abwegen

Von Danni M.

was wäre, wenn unser Schatten in eine andere Richtung gehen würde
als wir –
was wäre, wenn unser Schatten in die Vergangenheit reisen würde
und dort weiterlebt als ein Teil von uns
und alles anders macht –
was wäre, wenn unser Schatten in die Zukunft reisen würde,
dort sieht, was wir tun konnten
und es stoppt,
bevor wir es nicht tun –
kann unser Schatten ein Licht sein?

***

Autofriedhof

Von Alma

Ami-Schlitten sind Männersache. Von wegen. Die Jungs haben gestaunt, als ich erzählt habe, dass ich mich unters Auto lege und schraube. Mit diesem Schlitten bin ich bis nach Lappland kutschiert!
Aus und vorbei. Ich habe einen quietschgelben FIAT 500 übersehen. Er kam von rechts, hat noch gebremst, aber meine Tür hat er erwischt. Das Auto ist verzogen. In der Werkstatt hat Kennart gleich abgewunken: „Kauf dir einen neuen“. Wovon denn? Den hatte ich von Opa Knut geerbt.
Ich habe das Auto zum Friedhof gefahren. Ganz allein. Sicher sitze ich noch heute Abend hier und heule. Und morgen komme ich wieder.

***

Gestern Nacht

Von Evi

„Gestern Nacht ist jemand im Hof herumgeschlichen.“
„Quatsch, da war keiner.“
„Ich verwette meinen Arsch drauf. Das Schloss war gestern Abend zu. Jetzt ist es offen.“
„What? Das Schloss ist offen? Ist er noch drin?“
„Keine Ahnung, schau du nach. Ich geh da nicht rein.“
Mart wischt die Schweißperlen vom kahlen, tätowierten Schädel und zieht das Vorhängeschloss aus der Verriegelung. Das leise Quietschen der Eisentür versickert im dunklen Raum vor ihm. Alles still, kein Atem, kein massiger Körper, der auf dem staubigen Zementboden die Position ändert.
„Der ist weg. Hast du IRGENDJEMANDEM gesteckt, dass wir hier einen Tiger halten?“

***

Verwaiste Räume

Von Britta Haarmann

In ihren Filzpantoffeln glitt sie lautlos über den Holzfußboden. Alle Türen standen offen. Alle Zimmer waren leer. Adelaide drückte den Teddybär an ihr Musselinkleidchen. Es zwitscherte und klingelte irgendwo dahinten. Adelaide fühlte sich wie von einem langen Band dorthin gezogen. Das Zwitschern und Tönen wurde lauter. Weiter, immer weiter. Dann stand sie in einem Raum, der von Sonnenlicht geflutet war. Schmetterlinge schwebten durch die Luft. An ihren Fühlern hingen winzige Triangeln, die durch die Flügelbewegungen ständig in Bewegung und Klang waren. Adelaide setzte sich mitten in den Raum auf den Fußboden und ließ die Triangeliaden auf sich niedersinken.

***

Von Judith Manok-Grundler

Sie braucht ihn. Egal, wohin sie geht – er muss
mit. „Schatz, der ist ja größer als du. Lass ihn doch hier. Er wartet auf
dich.“ „Nein, Mama“, sagt sie. Jedes einzelne Mal ein
Nein. Die Mutter seufzt. Lässt zu, dass sie ihn
mitnimmt. Inzwischen gibt es ihn längst nicht mehr. Das Gefühl aber, nicht allein gehen zu müssen, hat sich tief in sie
eingebrannt. „Ich danke dir“, flüstert sie. Sie lächelt, als sie das Foto zurück ins Album steckt.

***

Verschlossen

Von Wortspiele

Ein geschlossenes Tor,
was sich wohl dahinter verbergen mag,
vorsichtig öffnest du es einen Spalt breit.
Du siehst gelbe Schmetterlinge
die über eine Blumenwiese tanzen,
Anemonen, Rosen, Gerbera,
wiegen sich dazu im Takte.
Ach, wie vermisst du diese Leichtigkeit in deinem Leben.
Jeder Tag erscheint dir so grau.
Du schließt das Tor wieder,
und gehst traurig davon.
Noch einmal drehst du dich um,
gehst zurück zum Tor, um es einen spaltbreit zu öffnen.
Ein helles Licht erstrahlt.
Voller Erstaunen stößt du das Tor ganz auf.
Wie kann das sein?
Voller Freude gehst du in dein Leben zurück.
Hoffnungsvoll und zuversichtlich.

***

Leere

Von Sarah N.

Wahllos zog er alte Nägel aus dem Holzbrett. Das war neu für ihn, sonst war er immer sehr zielgerichtet.

Heute aber war alles anders, sein Kopf war leer, er konnte nicht denken.
Eine künstlerische Blockade? Nein eher eine persönliche.

Sie war weg, sie hatte ihn verlassen, ohne Begründung, einfach so!

Was hatte er bloß falsch gemacht?
Er zog einen weiteren Nagel aus dem Brett.

Nein, er hätte nichts anders, richtiger oder besser machen können.

Langsam legte er das Werkzeug zur Seite und betrachtete nochmals das Brett mit den Nägeln. Dann losch er das Licht und verließ traurig seine Werkstatt.

***

Christianna

Von Leonetta Senese

So weit weg erscheinst du mir, aufgebahrt und kalt. Und doch: Immer noch strahlen deine schwieligen Hände Wärme aus. Du hast nie umarmt, aber dein Händedruck hieß nach Hause kommen. Mit dem Brotteig knetetest du erschmeckbare Heimat. Alle Kinder und Katzen liebten deine Streicheleinheiten und begleiteten dich auf deinem Weg durchs Dorf und auf den Acker. Denk‘ dran deine Hände auch einmal in den Schoß zu legen, dort, wo du jetzt bist.

***

Von Barbara Peters

Wellen rauschen an den Strand.
Graben Linien in den Sand.
Brechen sich in weißer Gischt,
schaumig und mit Tang vermischt.

Bringen Krebse, Muscheln, Steine.
Große und auch ganz, ganz kleine.
Ausgefranzte Tampenreste
und zu einem Möwenfeste

Krabben und so manchen Fisch.
Reich gedeckt ist dann ihr Tisch,
wenn die Brandung sanft verfließt.
Kommt, ihr Vögel, und genießt

das, was euch das Meer geschenkt.
Schweigend schaut der Mensch und denkt,
was das Meer für eine Macht ist.
Gleich ob´s wild oder ob´s sacht fließt.

***

Das Bild

Von Markus1

Sie stand am Rand der Klippe, Tränen rannen über ihr Gesicht. Gedankensplitter tanzten unstet durch ihren Geist. Der Wind zerrte hektisch an ihrer dürren Gestalt, drohte sie, in die Tiefe zu stürzen. Sie blickte hinab in die brandenden Wellen, die sie zu locken schienen.
Auf dem Bild in ihren zitternden Händen war sie, lächelnd, herzlich, lieb. Die Familie, die sie versprach, immer zu lieben. Doch Heather und Grey, die Eltern, traten sie, schlugen und beleidigten sie immer wieder. Und ihr Bruder hatte sie schon mehrmals angegrapscht. Sie hielt es nicht mehr aus.
Noch ein Schritt, dann bist du sie los.

***

Teig

Von Stefanie Neumann

Unweit der Fliegenpilze stand ein Reetdachhaus. Die Küche weckte Kindheitserinnerungen.

Die Hände der Alten waren schrumpelig wie der Teig, den sie kneteten. Fasziniert beobachtete ich, wie Finger sich in krümelige Substanz gruben, die langsam zu einer homogenen Masse wurde, als würden meine verstreuten Gedanken wieder in Einklang geknetet. Gelegentlich blickte sie auf. Ihr runzliges Gesicht wandelte sich, als sie lächelte. Ich nahm einen Schluck aus der Tasse heißen Tees in meinen Händen und sah zu, wie der Teig zu einer ordentlichen Kugel wurde.

Es gab immer Tee. Es gab immer einen Platz am Tisch und es duftete immer nach Gemütlichkeit.

***

Bushaltestelle zum Mars

Von Nadine Baumann

Keuchend öffnete Mary den Reißverschluss ihres Raumanzugs, stieg in den Bus und setzte sich ans Fenster. Der kleine Vorort ihrer Geburtsstadt zog an ihr vorbei. Mit klopfendem Herzen lief sie auf das Gebäude zu, vor dem ein Modell des Sonnensystems stand. Gleich würde sie zum Mars fliegen, so wie früher mit Opa. Die Dame am Empfang lächelte. „Kommen Sie, die Vorstellung beginnt in wenigen Minuten.“ Mary war ihre treueste Kundin. Jede Woche flog sie zum Mars, in ihrem Raumanzug und ihren Moonboots. Wenn wir nur fest genug an eine Sache glauben, wird sie für uns zur Realität.

***

Salongedanken

Von Anita Hollauf

Türen öffnen sich.
Türen schließen sich.
Alte Bretter erzählen Geschichten.
Licht durchflutet den Raum.

Türen schließen sich.
Gespeicherte Klänge streifen an Wänden.
Licht durchflutet den Raum.
Vergessene Blumen welken am Fenstertisch.

Gespeicherte Klänge streifen an Wänden.
Leere breitet sich aus.
Vergessene Blumen welken am Fenstertisch.
Erinnerungen an buntes Leben steigen auf.

Leere breitet sich aus.
Alte Bretter erzählen Geschichten.
Erinnerungen an buntes Leben steigen auf.
Türen öffnen sich.

***

Von Schreiblisi

Die weiße Gischt ergießt sich über den grauen Sand, glättet ihn. Dann läuft das Wasser zurück ins Meer und zieht Sandkörnchen mit, die am Ufer keinen Halt mehr finden. Von Fern wirken die Wellen harmlos, doch je näher sie auf mich zurollen, desto mehr Kraft gewinnen sie, bis sie schließlich unaufhaltsam mit voller Wucht zerbersten. Tosend spucken sie sprudelnde weiße Bläschen aus. Ein faszinierendes Naturschauspiel, dieser Wechsel aus glattem Meeresspiegel und wogigen Wellen, aus Türkisblau und Schneeweiß. Die Zyklen der Natur offenbaren Gegensätze, die sich dennoch so harmonisch ineinanderfügen, als sei es die natürlichste Abfolge überhaupt.

***

Das geöffnete Schloss

Von Landei

Eine nicht verschlossene Tür
Der Weg in die Freiheit
Mutig durchqueren
Gleißendes Sonnenlicht
Vogelgezwitscher
Kieselsteine
Bäume
Stille
Ein Schuss
Ein Schrei
Viel Blut
Das Ende der Freiheit

***

Verbogen

Von Maraoha22

Bert hatte verloren! Er hatte bei dem Wettkampf in zwei Minuten nur einen Nagel ins Brett geschlagen. Mißmutig legte er den Hammer weg und betrachtete die verbogenen Nägel. Genauso verkorkst war sein Leben. Mutter war kurz nach seiner Geburt gestorben. Vater war ständig dienstlich unterwegs. Bert lebte bei Vaters Eltern, die ihn mit viel Strenge und wenig Liebe erzogen. In der Schule fand er keine Freunde. Während die anderen Kinder nachmittags spielten, mußte er in der Gärtnerei der Großeltern helfen.
Dann heiratete sein Vater wieder und Bert hoffte jetzt ein wenig Liebe zu bekommen. Aber da irrte er sich sehr!

***

Das Konzert

Von Eva Schütz

Ausverkauft. In dieser Stadt. Was für eine Genugtuung. Alles war wie immer, Anreise, Aufbau, Soundcheck. Und doch war es anders diesmal. Sie war einst ein Kind dieser Stadt. Ein verstoßenes. Seither war sie nicht mehr wiedergekommen. Doch jetzt wollte man sie. In der großen Stadthalle. Sie war jetzt eine Andere. Ihre Fans liebten sie. Niemand würde sie wiedererkennen. In dieser Stadt. Das wusste sie. Das gab ihr Sicherheit. Und doch wollte sie gesehen werden. Von ihr. Ihr noch einmal in die Augen schauen. Und dann abreisen. Für immer.

***

Von Marie-Luise Schulze Frenking

lähmende Stille
am Tag nach dem Sieg
der anderen

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Zwergenwein

Von Monika Mayer-Pavlidis

Das Licht der Abendsonne durchflutete den Tannenwald.
Sie blieb stehen, schloss die Augen und sog die Waldluft tief in sich ein. Harziger Duft umwehte ihre Gedanken. Für diesen kurzen Moment kehrte Ruhe ein. Ihre Fingerspitzen strichen träumerisch über die samtigen Moospolster. Ihr Blick folgte dem Lichtstrahl, der durch die Stämme der jungen Tannen wanderte. Hinten links, angelehnt an eine Wurzel blitzte er auf – rot mit weißen Flocken. Magisch angezogen näherte sie sich. In einer Falte seines Hutes hatte sich etwas Tauwasser gesammelt.
„Auf euer Wohl ihr Zwerge! Auf viele magische Momente!“

***

Von Tilda Sturm

Die Vergangenheit –
in Kartons hinterlassen
NEUJAHR – NEUBEGINN

***

Raue Hände

Von Ara

Deine rauen Hände machen mich so sentimental. Sie versuchen dem Kleister einen Teig abzutrotzen. Ich möchte Anstoß nehmen an deiner Technik. Du drückst, du walkst nicht. Ich verkneife mir den Ratschlag. Stattdessen sauge ich den Anblick auf. Furchen, Altersflecken, zarte Härchen. Ich war baff, als ich dich in der Küche an der Arbeitsplatte angetroffen habe. Mit hochgekrempelten Ärmeln. Die Familientradition aufrechterhalten, die mir so viel bedeutet. Ich muss dieses Mal passen. Und nächstes Jahr zu Nikolaus? Wer weiß, ob ich dann noch am Tisch sitzen werde, um zerlaufene Weckmänner zu essen?

***

Jahreswechsel

Von G.G. Schmidt

Tschüss sagen wir zum alten Jahr.
Das Neue begrüssen wir mit frohem JA.
Zusammen warten wir unterdessen
und geniessen dabei gutes Essen.
Alte Bräuche vertreiben uns die Zeit,
egal ob in der Gruppe oder zu Zweit.
Wenn die Glocke hat zwölf geschlagen,
geht es der Sektflasche an den Kragen.
Die Korken ploppen mit lautem Knall.
Dazu johlen wir mit freudigem Krawall.
Beste Wünsche senden wir Jedermann
für das ganze folgende Jahr lang.
Frohes neues Jahr.

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same procedure

Von eva w.

Sie stand vor dem Bücherregal, suchte nach einem Buch, das sie in der ersten Nacht des neuen Jahres lesen wollte. Sie hatte den ganzen Abend ferngesehen, zum gefühlt hundertsten Mal „ein Herz und eine Seele“ und „Dinner for one“, an den gleichen Stellen gelacht wie immer. Same procedure as every year. Zum Schluss dann die Nachrichten: über den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, über Menschen, die im Meer ertranken, und über randalierende junge Männer in deutschen Städten. Und plötzlich wusste sie, was sie lesen musste. Astrid Lindgrens Tagebuch: Die Welt hat den Verstand verloren.

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Bild zum Blogbeitrag Sixwordstories. Zeigt Tasse mit dem Spruch I am the hero of my own life.

Dein Leben in sechs Wörtern

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Schreibfreuden-Adventskalender ’22: Textsammlung

Im Dezember 2022 gab es bei mir zum ersten Mal den „Schreibfreuden-Adventskalender“: 24 Tage lang habe ich an alle, die sich angemeldet hatten, jeden Tag einen Bildimpuls verschickt. Faszinierend, was … Weiterlesen …
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