Margaret Atwood. Neil Gaiman. Amy Tan. Nachdem ich schon einige virtuelle Schreibworkshops von Literaturgrößen auf der Plattform Masterclass besucht hatte, habe ich mir angehört, was Joyce Carol Oates über die „Kunst der Kurzgeschichte“ zu erzählen hat. Immerhin hat sie unzählige Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht und gilt als eine der wichtigsten amerikanischen Autorinnen.
Wer gerade erst mit dem Schreiben beginnt, sollte mit Kurzgeschichten anfangen, meint Oates. Schreib-Neulinge fühlen sich oft von der jahrelangen Arbeit an einem Roman abgeschreckt. Sich so etwas Großes vorzunehmen, kann dazu führen, dass man auf halber Strecke aufgibt. Eine Kurzgeschichte ist dagegen schnell(er) geschrieben – und wird vielleicht sogar in einer Zeitschrift oder Anthologie veröffentlicht. Das motiviert uns und wir lernen, unsere Schreibprojekte zu beenden.
Schreibe in einem Rutsch
Um das Schreiben in unseren Alltag zu integrieren, eignen sich 40-minütige Einheiten: Sie sind lang genug, damit wir tatsächlich etwas zu Papier bringen können. Und sie sind kurz genug, damit wir konzentriert im Schreibflow bleiben. Am besten, so Oates, schreiben wir unseren ersten Entwurf in einem Rutsch runter.
Warum ticken Menschen so, wie sie ticken? Das ist für sie eine der wesentlichen Fragen beim Schreiben. Wir sollten Figuren erfinden, die uns faszinieren. Und natürlich beobachten wir sie dann nicht nur dabei, wie sie sich die Zähne putzen: Es geht um Schlüsselereignisse, um entscheidende Momente in ihrem Leben. „Don’t be boring“, schärft sie uns ein. Auf keinen Fall sollten wir etwas Langweiliges schreiben!
Bleib neugierig!
Wichtig ist für Oates, dass wir uns unsere kindliche Neugier bewahren. Mit einfachen Übungen können wir den Zauber unserer Kindheit wieder wachrufen: „Erinnere dich an dein erstes Kinderzimmer. An deine Eltern, als sie noch jung waren. An Gerüche und Geschmäcker …“. Wir sollten uns immer wieder Zeit dafür nehmen, solche Dinge aufzuschreiben. Oft steckten darin gute Ansätze für Geschichten. Sie gibt uns außerdem den Tipp, uns zu notieren, welche Bücher und Filme wir als Kind mochten: Sie prägen unseren heutigen Geschmack.
Was tun wir bei Ideenlosigkeit? Laut Oates wirkt sich Bewegung wie Laufen oder Spazierengehen positiv auf unser Schreiben aus. Eine ihrer Übungen lautet: „Geh spazieren und erzähle dir dabei eine Geschichte. Schreibe sie später aus dem Gedächtnis auf.“ Auch andere kreative Tätigkeiten wie Malen oder Musizieren regen verschiedene Hirnareale an und liefern neue Einfälle. „Schreiben sollte angenehm sein und Spaß machen“, sagt Oates. „Es sollte entdeckend sein: Schreibe über Dinge, die dich selbst überraschen.“ Wir sollten jeden Tag herausfinden, was uns fasziniert, und unser kindliches Staunen und unseren Forschergeist kultivieren.
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Lass dir Zeit für die Überarbeitung
Wenn wir unseren ersten Entwurf frei runtergeschrieben haben, beginnt die eigentliche Arbeit. Dieser Phase sollten wir genügend Zeit einräumen. Oates rät uns, einen Text mehrmals durchzulesen. Dann können wir Passagen ausarbeiten, die wir im Entwurf nur skizziert haben. Wir können Dialoge ergänzen oder das Setting näher beschreiben. Besonders bei einer Kurzgeschichte sollten wir Überflüssiges streichen. Wenn eine Figur keine Funktion in der Geschichte erfüllt, solten wir sie rausschmeißen. Ein guter Tipp ist, die Eigenschaften mehrerer Figuren zu einer zu kombinieren (funktioniert auch bei Romanen).
Bei der Überarbeitung gibt es zwei Ebenen: Einerseits die Geschichte mit ihren Figuren, dem Aufbau, der Handlung und den Dialogen. Andererseits den Stil und die Sprache. Diese Ebenen sind miteinander verwoben, denn jede Entscheidung, die wir über Wortwahl und Stilmittel treffen, wirkt sich auf die Geschichte aus. Am Ende ihres Workshops widmet sich Oates übrigens auch konkret dieser Textarbeit und diskutiert die Kurzgeschichten von Studierenden.
Lies aufmerksam
Wie können wir uns als Schreibende weiterbilden? Laut Oates sollten wir dazu vor allem aufmerksam lesen. Das müssen wir nicht allein tun: Wir können uns einer Literaturgruppe anschließen oder selbst eine gründen. Wir sollten uns fragen, wie unsere literarischen Vorbilder ihre Geschichten aufbauen. Was gefällt uns daran (nicht)? Wie funktioniert ihr Humor? Was fesselt uns an ihren Dialogen? Für dieses „analytische Lesen“ können wir uns eigene Leselisten anlegen. Wir könnten uns beispielsweise vornehmen, Hemingway zu studieren, um uns einige seiner Techniken abzuschauen. Auf keinen Fall sollten wir darüber aber das spontane Lesen – einfach nur aus Spaß – vergessen. Dem kann ich nur zustimmen!