Thomas Lang ist Kurzgeschichtenautor, Selfpublisher und Schreibtrainer und arbeitet hauptberuflich als Statistiker. Im Juni 2021 ist sein dritter Kurzgeschichtenband Alles wild so halb beim österreichischen Selfpublisher Buchschmiede (früher: myMorawa) erschienen. Zusammen mit seinen beiden weiteren Bänden Die Sache an dem Haken (2018) und Drahtseile wie Nerven (2019) hat Thomas damit bereits sechzig Kurzgeschichten veröffentlicht. Ich habe mit ihm über sein Schreiben und seine Erfahrungen im Selfpublishing gesprochen.
Thomas, erzähl uns etwas über dich und dein Schreiben!
Ich habe jahrzehntelang wissenschaftlich geschrieben, aber kaum privat. Einmal war ich auf Dienstreise und habe in London im Hotel das Bedürfnis verspürt, eine Geschichte zu schreiben. Also habe ich an dem Abend eine Kurzgeschichte im Hotelzimmer geschrieben. Seitdem lässt mich das Kurzgeschichten-Schreiben nicht mehr los. Die Geschichte, die damals entstanden ist, ist auch in meinem ersten Band erschienen, ohne große inhaltliche Überarbeitung. Danach habe ich mich eingehender mit der Textsorte „Kurzgeschichte“ beschäftigt und festgestellt, dass man sehr unterschiedlich ans Schreiben herangehen kann.
Wie gehst du beim Schreiben deiner Kurzgeschichten vor?
Meine erste Geschichte habe ich in einer einzigen Sitzung geschrieben, das war eine spezielle Situation. Bei den meisten anderen Geschichten habe ich nicht linear geschrieben, sondern modular und experimentell. Ich notiere mir ständig Ideen und interessante Gedanken, schreibe sie auf Zettel oder Post-its und lasse sie abliegen. Dann beobachte ich, ob sich über die Zeit zu dem Gedanken eine Geschichte formt. Bei einigen Geschichten habe ich eine Plot-Strategie verfolgt, bei anderen war zuerst der Titel da und der Rest kam später.
Ich schreibe spontan dort, wo gerade Platz ist. Am Handy, im Notizbuch oder einfach auf einem Zettel. So sammele ich Fragmente auf unterschiedlichen Medien, die ich dann irgendwann zu einem größeren Ganzen zusammentrage.
Woher nimmst du deine Ideen und wie findest du Zeit zum Schreiben?
Ich gehe einfach aufmerksamer durch die Gegend und schnappe Auslöser für Geschichten auf. Dabei bin ich nicht zwanghaft auf der Suche, aber meine Wahrnehmungskanäle sind offen. Ich notiere den Auslöser und dann überlege ich, ob eine Geschichte dazu kommt. Das kann sehr lange dauern, manchmal klebt monatelang irgendwo ein Post-it mit einer Idee. Dann wird etwas daraus oder nicht. Unterwegs höre ich gern Radio. Da spielen sie oft Lieder, die ich noch nie gehört habe, und bei denen der Liedtext oder die Stimmung etwas auslöst.
In den letzten fünf Jahren habe ich einige Freizeitaktivitäten bewusst gegen das Schreiben ausgetauscht. Wenn man weniger fernsieht, hat man einen großen Nettogewinn an Freizeit. Interessanterweise lese ich jetzt weniger. Wenn ich die Wahl habe, ein Buch zu lesen oder zu selbst zu schreiben, dann schreibe ich lieber.
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Bisher hast du drei Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht. Steht jeder Band für sich oder hängen sie zusammen?
Jeder Band steht für sich und braucht die anderen nicht. Jede Geschichte steht auch für sich und braucht die anderen nicht. Wenn man alle drei Bände vergleicht, findet man vermutlich beabsichtigte und unbeabsichtigte Parallelen. Die Buchtitel sind jeweils Redensarten, die ich umwandle. Der aktuelle Band heißt Alles wild so halb. Es gibt dann in jedem der Bände auch eine Geschichte, die den Titel des Buches trägt.
Ich schreibe vor allem für mich und nicht, um eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen. Natürlich habe ich im Laufe der Zeit dazugelernt. Beim ersten Band hat es einige Leute irritiert, dass die Handlungen chaotisch sind und die Geschichten ein offenes Ende haben. Jetzt, nachdem ich mich intensiver mit der Textsorte beschäftigt habe, kenne ich die Lesererwartung besser. Die Geschichten haben sich darum ein bisschen hin zu einem klassischen Spannungsaufbau mit Höhepunkt und Schluss entwickelt.
Du bist überzeugter Selfpublisher. Wie bist du dazu gekommen und wie läuft das ab?
Beim ersten Band hatte ich vor allem keine Lust, einen Verlag zu suchen, aber ich wollte trotzdem ein Buch haben. So bin ich auf das Angebot von myMorawa gestoßen, die das Selfpublishing mit einem Vertragsangebot unterstützen und die Software zur Verfügung stellen. Sie prüfen am Ende das Manuskript auf anstößige Inhalte, aber ansonsten ist man vollkommen frei.
myMorawa übernimmt den Druck, die Listung und die Weiterleitung an alle Vertriebspartner. Ich finde es reizvoll, dass sie auch eine persönliche Autorenbetreuung haben. Man kann alle drei Formate wählen: Paperback, e-Book und Hardcover. Das Buch wird dann auf Bestellung gedruckt. Das heißt, wer es bestellt, muss ein Weilchen darauf warten. Das hat auch etwas Entschleunigtes, das mir gut gefällt.
Ein Lektorat muss man sich selbst organisieren. Ich habe bei allen drei Bänden mit derselben Lektorin zusammengearbeitet. Sie hat mir jeweils elektronisch Vorschläge zur Verbesserung des sprachlichen Ausdrucks gemacht, aber inhaltlich nicht in die Texte eingegriffen.
Was hast du übers Selfpublishing gelernt und worauf sollte man dabei achten?
Man hat nicht die Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen, und hält das Produkt nachher genau so in den Händen, wie man es haben wollte. Wenn man das möchte, bietet sich Selfpublishing an. Wer zielgruppenorientiert schreibt und in einem Genre Fuß fassen möchte, für den würde ich es nicht unbedingt empfehlen.
Der vermeintliche Nachteil beim Selfpublishing ist: Man hat keinen Support im Vertrieb und kein Marketing. Wenn man einen Absatz haben möchte, muss man mindestens nochmal so viel Energie in die Werbung stecken wie ins Schreiben. Die Tatsache, dass dein Buch prinzipiell bei den großen Anbietern aufscheint, garantiert nicht, dass du auch nur ein einziges Exemplar verkaufst. Das sollte man wissen. Mir war das nicht von vornherein bewusst.
Bei der Herstellung ist Genauigkeit gefragt. Es ist hilfreich, wenn man sich mit Textverarbeitung auskennt. Die Dateien müssen genauen Anforderungen entsprechen, die Anleitungen dafür sind gut, aber auch sehr detailliert. Man lernt einiges über Schriftsatz und Buchdruck und dringt sicher tiefer in die Thematik ein als wenn man mit einem Verlag kooperiert, der das alles übernimmt.
Ich habe auch die Cover aller drei Bücher selbst gestaltet. Ansonsten muss man zusätzlich zum Lektorat noch einen Grafiker beauftragen, dann kann Selfpublishing schnell teuer werden. Ich würde empfehlen, ein Probeexemplar drucken zu lassen, auch wenn das extra kostet. Man entdeckt dann immer noch Kleinigkeiten zur Korrektur, die man vorher übersehen hatte.
Was ist dein liebster Schreibtipp?
Mein erster Tipp ist, sich nicht hinzusetzen und linear zu schreiben, sondern sich treiben zu lassen von Ideen und Gedanken. Ich finde es auch sinnvoll, verschiedene Materialien und Medien zu nutzen. Mein zweiter Tipp ist: Beginne zu schreiben! Sorge dich nicht, wenn du keinen Plot oder keine Charaktere hast. Viele Ideen entstehen während des Schreibens. Das ist das, was ich unter creative writing verstehe: Creative in dem Sinn, dass man es kreiert, dass man die Geschichte während des Schreibens erschafft.
Thomas Lang
Alles wild so halb. Kurzgeschichten. 2021
ISBN 978-3-99125-455-3
EUR 15,90 (Paperback)
Die Formate Hardcover und e-Book sowie die weiteren Kurzgeschichten-Bände Die Sache an dem Haken und Drahtseile wie Nerven sind ebenfalls über die Buchschmiede erhältlich.