„The first draft of anything is shit“, fand schon der gute alte Ernest Hemingway. Anne Lamott begründet das Konzept des shitty first draft in ihrem wunderbaren Schreibklassiker Bird by Bird so: Indem wir uns gestatten, erst einmal den größten Sch… zu Papier zu bringen, befreien wir uns vom Perfektionismus. Denn der steht unserem lockeren Schreiben im Weg. So weit, so plausibel.
Beim Gateless Writing sind wir von diesem Konzept trotzdem nicht überzeugt. Woran liegt das? Stellen wir uns die Sache doch mal bildlich vor. Shitty. Igitt. Das ist also etwas, das stinkt, das unangenehm und wertlos ist. Wir wollen es schnell loswerden und spülen es in der Toilette runter.
Werte dein kreatives Schaffen nicht ab
Wenn wir unser kreatives Schaffen auf diese Weise abwerten, prägt das unwillkürlich unser Mindset. Würden wir über andere unfertige Dinge in unserem Leben auch so negativ reden? Indem wir unseren ersten Entwurf als shitty begreifen, nehmen wir uns die Chance, sein volles Potenzial zu erkennen. Wie wichtig kann unser Wortmüll schon sein?
Vielleicht schrecken wir sogar davor zurück, zu viel Mühe in etwas zu investieren, das zwangsläufig mies sein muss. Und so verschwindet ein weiterer Entwurf in unserer Schublade … Schade. Vielleicht war es ein besonders starker Text, in dem wir eingefangen hatten, was wir wirklich sagen wollten.

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„Shitty“ zu denken kann für Selbstzweifel sorgen
„You are free to write the worst junk in the world“, erlaubt uns Schreib-Guru Natalie Goldberg. Und viele Schreibende empfinden das Konzept des shitty first draft tatsächlich als befreiend. Bei anderen sorgt es dagegen für Selbstzweifel: Wir werten damit nicht nur den Text selbst ab, sondern auch das, was von uns darin steckt. Unsere ungeordneten Gedanken, Erinnerungen und Ideen. Und schon ist sie wieder da, die Stimme in unserem Kopf, die uns einreden will, wir könnten nicht schreiben.
Nun könnte man einwenden, shitty beziehe sich eher auf die Struktur und den Stil, die noch nicht ausgefeilt sind, nicht ausgefeilt sein können. Aber was, wenn auch diese Elemente im ersten Entwurf gar nicht so schlecht waren? (Manchmal passiert es sogar, dass wir einen Text so oft umschreiben, dass von seinem ursprünglichen Zauber kaum noch etwas übrig bleibt!)
Natürlich müssen wir Rohtexte überarbeiten, bevor wir sie veröffentlichen. Der erste Entwurf (egal, ob wir ihn für shitty halten oder nicht) ist also ein wertvoller Teil des Schreibprozesses. Er ist unser erster Schritt auf dem Weg zum fertigen Text. Ohne ihn wäre da nämlich: Nichts!
Betrachte deinen Entwurf liebevoll
Beim Gateless Writing gehen wir also besonders liebevoll mit unseren Entwürfen um und begeben uns auf Schatzsuche. Gemeinsam mit der Gruppe blicken wir nur auf die Stärken unserer Texte: Was hat uns berührt? Was hat gut funktioniert? Was ist der Kern der Geschichte, die wir erzählen wollen? So lernen wir allmählich, auf unsere Intuition zu vertrauen. Wir gewinnen Autonomie und entdecken unsere individuelle Schreibstimme. Ein Prozess, der beflügelt und inspiriert. Eine Erfahrung, die unser Schreiben nachhaltig transformiert.
Feiern wir also den wunderbaren, einzigartigen ersten Entwurf! Er ist der Rohdiamant, den wir schleifen und polieren werden. Der Stein, aus dem wir unsere Geschichte herausmeißeln können. Das Samenkorn, aus dem eine Pflanze wachsen wird. Egal, welches Bild wir dafür finden: Ein Sch…haufen sollte es nicht sein.
Du hast Lust, deine Textentwürfe liebevoll zu betrachten? Dann schau im Schreibsalon vorbei, gönn dir ein virtuelles Retreat oder eine spezielle Feedback Session. In entspannter Runde zeigen wir dir auf, was an deinen Texten gut funktioniert. Du erfährst, was dein Schreiben einzigartig macht, bekommst neue Ideen und tankst frische Schreibenergie!
Das hat dir gefallen? Dann lies gleich weiter …

A Haiku a day …
