Vor einiger Zeit habe ich mir ein Abo für die Hochglanz-Lernplattform Masterclass gegönnt und von Schriftsteller:innen wie Joyce Carol Oates, Amy Tan, Neil Gaiman und Margaret Atwood einiges gelernt. Spannend fand ich auch den Erfahrungsschatz von Shonda Rhimes (Grey’s Anatomy) zum Thema „Schreiben fürs Fernsehen“. Ein paar meiner Erkenntnisse teile ich hier mit euch.
Klar. Die wenigsten von uns werden in diesem Leben dazu kommen, eine Fernsehserie zu schreiben. Trotzdem hatte ich Lust, mir Shondas Workshop anzuschauen. Mein Hintergedanke dabei: Welche ihrer Techniken kann ich mir abschauen und für mein eigenes Schreiben adaptieren, ähnlich wie beim Drehbuchschreiben?
Lerne das Genre kennen
Zunächst ist es wichtig – und das gilt ja grundsätzlich beim Schreiben – das Genre gut zu kennen. Shonda empfiehlt, jede Menge erfolgreiche und weniger erfolgreiche Serien der 70er, 80er und 90er Jahre anzuschauen. (Ein Rat, den man vielleicht auch dann gern befolgt, wenn man gar kein Fernsehskript schreiben möchte …)
Natürlich sollte man die Serien nicht nur gemütlich bingen, sondern analysieren: Was waren die großen Themen? Welche Serien waren erfolgreich? Welche sind schnell geflopt – und warum? Auch die Struktur einzelner Episoden und ganzer Staffeln sollte man genauer betrachten. Wie entwickelt sich die Geschichte über einen längeren Zeitraum?
Finde heraus, ob die Idee trägt
So kann man auch entscheiden, ob die eigene Story-Idee eher für eine Kurzgeschichte, einen Roman oder einen Film taugt – oder ob sie das Potenzial für mehrere Staffeln einer Serie hat. Interessant fand ich Shondas Gedanken, dass man bei der Idee für eine Serie noch gar kein Ende im Kopf haben muss. Für Grey’s Anatomy wusste sie aber, dass man mindestens sieben Staffeln drehen könnte, da die Ausbildung in der Chirurgie in den USA sieben Jahre dauert.
Wenn man glaubt, dass das Konzept trägt, kann man es schrittweise weiterentwickeln: Was ist die Grundidee? Kannst du sie als Logline formulieren? Welche Figuren stehen im Zentrum? Welche Charaktereigenschaften haben sie? Wie werden sie lebendig? Wie interagieren sie miteinander, vor allem mit der Hauptfigur? Was könnte in den einzelnen Folgen passieren?
Recherchiere sorgfältig
Wichtig ist auch eine sorgfältige Recherche: Je nachdem, wo die Serie spielt, sollte man dieses Umfeld genau kennen. Wie geht es in der Chirurgie oder in der Notaufnahme zu? Wie sieht der Alltag der jungen Ärzt:innen dort aus? Ich hatte in Shondas Workshop den Eindruck, dass die Recherche bei Serien detailreicher sein sollte als bei den meisten anderen Genres.
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Tipps fürs amerikanische TV-Business
Im Workshop gibt Shonda zahlreiche Tipps, wie man eine TV-Serie „pitcht“. Sie beschreibt, wie man sich ein Netzwerk aufbauen, erste Dreh-Erfahrungen sammeln und in der Branche Fuß fassen kann. Diesen Teil habe ich mir nicht genau angeschaut, denn er ist auf den amerikanischen Markt bezogen und für die meisten von uns nicht relevant. Interessant fand ich aber, dass z.B. Warner Brothers und Disney eigene TV Writers‘ Workshops anbieten.
Mit Shondas Schreibtipps können sich wohl vor allem diejenigen anfreunden, die gern plotten. Die Vorgehensweise im Film- und TV-Business ist ja in der Regel so, dass man zuerst eine Story-Idee entwickelt und sie erfolgreich präsentiert – und erst danach mit dem Schreiben beginnt. Oft wird auch erst einmal ein Pilotfilm produziert, um zu testen, wie die Serie beim Publikum ankommt. Wenn wir hobbymäßig schreiben oder erst am Anfang stehen, haben wir dagegen die Freiheit, unsere Geschichten erst im „Drauflosschreiben“ zu entdecken.
Halte dich an den klassischen Aufbau
Shonda erklärt, wie ein typisches Skript für eine einstündige Folge aufgebaut ist, nämlich in fünf Akten zu je elf Seiten. Im ersten Akt werden die Figuren eingeführt und das Problem angedeutet. Im zweiten Akt verschärft sich das Problem. Im dritten Akt wendet sich alles zum Schlimmsten. Der vierte Akt ist ein Wettlauf gegen die Zeit, die Uhr tickt. Und im fünften Akt haben die Figuren schließlich doch gesiegt. Ihr Tipp: Schau dir einige Episoden deiner Lieblingsserie an und versuche, diese Struktur nachzuvollziehen.
Wie sollte man nun konkret beim Schreiben vorgehen? Hier empfiehlt Shonda Rhimes das klassische Beat Sheet, das wir auch aus Blake Snyders Save the Cat (Deutsch: Rette die Katze) kennen. Der Wohlfühlfaktor ist wichtig: Such dir einen angenehmen Schreibort und finde Rituale, z.B. Musik, die dich gut ins Schreiben bringen. Wichtig ist aber auch, sich konkrete Schreibziele und Deadlines zu setzen.
Ein Genre für „Plotter“, nicht für „Drauflosschreiber“?
Insgesamt liefert Shondas Workshop interessante Einblicke in ein für mich bisher fremdes Genre und ein (wie mir scheint) knallhartes Business. Und mir wurde klar: Fernsehserien zu schreiben ist sicher schwierig für Menschen, denen es nicht liegt, ihre Geschichten am Reißbrett zu entwerfen. Mehr als bei anderen Textsorten muss dabei vieles schon im Vorfeld angelegt und geplant werden.
Mein Fazit daher: In Shondas Workshop bekommen wir zweifellos hilfreiche und praxisnahe Tipps von einem Vollprofi. Wer aber gern „entdeckend“ schreibt, dürfte am akribischen Plotten einer ganzen Fernsehserie wenig Freude haben. Ich jedenfalls hätte einige Mühe, diese Vorgehensweise umzusetzen, und versuche mich daher weiterhin lieber an anderen Genres …