Auf Social Media und in Schreibforen taucht immer wieder die Frage auf, was denn nun die „richtige“ Vorgehensweise beim Schreiben sei. Oft liest man dann, ein großes Projekt wie ein Roman könne nur dann gelingen, wenn man es vor dem Schreiben akribisch plant. Dieser Tipp greift jedoch zu kurz, denn er ignoriert die Tatsache, dass es verschiedene „Schreibtypen“ gibt.
Ich grübele nicht, ich schreibe einfach
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der ich meine Doktorarbeit geschrieben habe. Vom ersten Tag an habe ich parallel gelesen, recherchiert, analysiert und auch geschrieben. In einem riesigen, chaotischen Dokument entstand so die Rohfassung dessen, was erst später eine sinnvolle Struktur bekommen sollte … Seit ich mich erinnern kann, kamen mir die besten Ideen nämlich nicht beim Grübeln, sondern während des Schreibens.
Als ich etwa zwei Jahre lang an meiner Dissertation geschrieben hatte, sprach ich mit einem Studienkollegen, der gemeinsam mit mir begonnen hatte. Auf meine Frage, wie es ihm mit dem Schreiben ginge, schaute er mich entgeistert an und fragte: „Du schreibst schon?“ Damals fand ich das seltsam. Heute weiß ich: Wir waren einfach komplett verschiedene Schreibtypen! (Und wurden übrigens zeitgleich mit unseren Arbeiten fertig.)
Planst du …
Wer also das Plotten als einzig wahre Möglichkeit empfiehlt, einen Roman zu schreiben, ist vom Schreibtyp her vermutlich genau das: Ein Planer oder Plotter, auch „Strukturfolger“ genannt. Ihm fällt es leicht, das gesamte Projekt vor dem Schreiben strategisch zu planen – oft funktioniert das Schreiben ohne einen solchen Plan für ihn gar nicht.
Plotter beginnen normalerweise eher spät damit, überhaupt etwas zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt ist die Geschichte oder der Roman in ihrem Kopf quasi schon fertig. Dieser Schreibtyp kann sich das Projekt meistens zeitlich gut einteilen und die einzelnen Schritte einfach abarbeiten. Und am Schluss muss er nicht mehr allzu stark an seinem Text feilen, damit der Aufbau stimmig wird.
Wer ausgiebig plottet, nimmt sich aber die Chance, im Schreiben Neues zu entdecken und flexibel darauf zu reagieren: Dann müsste ja der ganze Plot wieder umgeschmissen werden! So kann es passieren, dass die Figuren eher schematisch agieren und dadurch weniger lebendig wirken. Was sie sagen oder tun, musste mit Blick auf den Handlungsablauf exakt so entwickelt werden.
… oder schreibst du drauflos?
Das andere Extrem sind die Drauflosschreiber, Bauchschreiber oder „Strukturschaffer“, auf Englisch auch pantser genannt. Sie schreiben intuitiv, folgen ihren spontanen Einfällen, und produzieren von Beginn an schon (viel) Textmaterial. Wer drauflos schreibt, hat zunächst nur eine vage Idee. Figuren, Dialoge, Handlungsablauf … das alles findet dieser Schreibtyp erst nach und nach während des Schreibens. Pantser verlieren gern die Lust an ihrem Projekt, wenn man ihnen rät, es genauer zu planen: Das entdeckende Schreiben ist ja gerade das, was ihnen daran so viel Spaß macht! Ihre Figuren wirken oft lebendiger, denn sie entwickeln sich ganz natürlich.
Gleichzeitig fällt es Drauflosschreibern oft schwerer, den roten Faden zu finden. Es kann passieren, dass sie mitten in einem Schreibprojekt steckenbleiben und nicht wissen, wie die Geschichte weitergehen soll. Oft können sie ihre Projekte zeitlich weniger gut abschätzen. Und sie müssen ihre Texte vor dem Veröffentlichen intensiver überarbeiten, damit der Handlungsverlauf rund wird.
Lust auf noch mehr Inspiration für dein Schreiben? Dann lade dir jetzt für 0 Euro meine Schreibfreuden-Rezepte herunter:
Ein Mini E-Book mit Tipps, die dich entspannt in den Flow bringen!
Natürlich können diese Extreme verschieden stark ausgeprägt sein, und viele Schreibende bezeichnen sich als „Mischtypen“. In der Schreibdidaktik gibt es auch Modelle, die noch weitere Schreibtypen identifizieren. Am Häufigsten begegnet uns aber die Unterteilung in „Plotter“ und „Pantser“. (Für beide gibt es übrigens prominente Vorbilder wie den Plotter John Grisham und die Drauflosschreiberin Margaret Atwood.)
Bleib offen für Neues
Auch Schreibworkshops und Schreibratgeber sprechen oft eher den einen oder anderen Typ stärker an. Ich finde es durchaus spannend, neue Techniken auszuprobieren und bin grundsätzlich offen dafür, von anderen Schreibtypen zu lernen. Trotzdem weiß ich mittlerweile: Mit einem Ratgeber, der mich anleitet, ausgiebig zu plotten und Figuren auszuarbeiten, bevor ich überhaupt eine Zeile geschrieben habe, werde ich nicht viel anfangen (können).
Auch beim Schreiben können wir nämlich nur begrenzt aus unserer Haut. Man kennt das ja auch bei anderen Eigenschaften: Es gibt einfach Menschen, die brauchen um sich herum das „kreative Chaos“, um sich wohlzufühlen. Natürlich können sie auch mal aufräumen. Trotzdem wird es bei ihnen nie so aussehen wie bei jemandem, der sich erst dann richtig entspannen kann, wenn jedes Ding an seinem Platz liegt.
Schreibe „typgerecht“
Um bei längeren Projekten nicht die Motivation zu verlieren, ist es darum wichtig, den eigenen Schreibtyp herauszufinden und dann vor allem typgerecht zu schreiben. Wenn du also bisher bei dem Versuch gescheitert bist, einen Roman zu plotten, dann liegt das nicht daran, dass du „nicht schreiben kannst“. Du bist nur nicht deinem Schreibtyp entsprechend vorgegangen. (Falls du dich fragst, was du für ein Schreibtyp bist, schau dir mal diesen kurzen Online-Test von der Uni Hamburg an.)
Vertrau beim Schreiben auf deine Intuition und deine individuellen Stärken. Du musst dich dabei nicht „verbiegen“, sondern kannst deine Arbeitsweise bewusst auf deinen Schreibtyp abstimmen. Als Plotter kannst du versuchen, mit kreativen Schreibübungen deinen Figuren mehr Tiefe zu verleihen. Als Drauflosschreiber planst du viel Zeit für die Überarbeitung ein.
Probiere aus, was dir gut tut und dir hilft, dir deine Schreibfreude und Motivation zu bewahren. Denn egal, ob du nun lieber planst, drauflos schreibst, oder ganz anders vorgehst: Es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg zum fertigen Text.
Im Schreibsalon mit Gateless Writing schreiben wir zu Impulsen frei und intuitiv drauflos. Das freut natürlich alle Pantser. Und die Plotter sind oft verblüfft, welche Texte dabei mühelos aus ihnen herausfließen. Viele von ihnen empfinden diese (für sie eher ungewohnte) Herangehensweise als befreiend. Probiere es einfach mal aus!